Matthias Gronemeyer zu Gast in der Sendung Kultur am Mittag im Radiosender WDR3. Der Autor von vögeln -eine Philosophie vom Sex spricht mit Nicolas Tribes über sein Buch und die Gegenwart und Zukunft unserer Geschlechterverhältnisse.
Hier der komplette Beitrag zum Nachhören.
WDR: Herr Gronemeyer, warum waren viele große Denker aus Ihrer Sicht so frigide?
Matthias Gronemeyer: Ich glaube, dass die Philosophie als eine Art von Reinlichkeitsbewegung gestartet ist. Mit Platon, dem berühmten Symposion, in dem eigentlich dem Gotte Eros gehuldigt werden sollte, das am Ende aber eine Huldigung der reinen Vernunft und des körperlichen Denkens geworden ist. Daran haben sich seitdem eigentlich alle akademischen Denker gehalten, den Körper immer von sich gewiesen und nach dem reinen Gedanken gesucht.
WDR: Philosophie ist ja eine ausgesprochene Männerdomäne – sind die Herren der Schöpfung einfach ein bisschen zu prüde?
Gronemeyer: Da müsste man sie mal fragen. Das würden sie wahrscheinlich nie zugeben, oder erst nach ein paar Gläsern Rotwein. Das ist in der Tat auffällig. Gerade die akademische Philosophie ist ja eine der letzten richtigen Männerdomänen im universitären Betrieb und auch durch die Jahrhunderte kennen wir eigentlich nur männliche Philosophen. Wieso ist das eigentlich so? Man entdeckt schnell Parallelen zu den monotheistischen Religionen. Die abendländische Religion mit ihrem einen Gott und die Philosophie mit ihrer einen Vernunft sind da so etwas wie Geschwister und ihr Personal ähnelt sich ja auch oftmals sehr.
WDR: Also im Grunde, was die Einschränkung der Sexualität angeht, ein Zusammengehen von Religion und Philosophie. Sie ziehen diese Parallele auch in Ihrem Buch mit der Figur des Abraham. Sie sagen: Das, was da bei Abraham geschildert wird, hat im Grunde etwas mit der Sexlosigkeit der Philosophie zu tun.
Gronemeyer: Das Denken fängt ja schon immer bei einer Beobachtung an. Man sieht etwas und fragt sich, wie es dazu gekommen ist. Eigentlich habe ich mich erstmal für aktuelle Fragen von Reproduktionsmedizin, Geschlechtlichkeit und Sexualität interessiert und habe dann geguckt, ob es so eine Art von Urerzählung dazu gibt. So bin ich auf diesen alttestamentarischen Abraham gekommen. Die Geschichte, die da erzäht wird, ist ja die Geschichte des Monotheismus – also Abraham ist der große Protagonist des einen unsichtbaren Vatergottes.
WDR: Der ja von Gott die Anweisung erhielt, seinen Sohn umzubringen und dann im letzten Moment gestoppt wird.
Gronemeyer: Ja und ich habe mich lange gerade an dieser Passage aufgehalten und gedacht: Das ist ja völlig merkwürdig. Welches Interesse sollte so ein allmächtiger Gott haben, so eine komische Nummer zu vollführen? Und dann ist mir aufgefallen: Was passiert denn da eigentlich? Eigentlich wird da das erste Mal in der Menschheitsgeschichte einem Kind durch einen Mann das Leben geschenkt. Seit Abraham sind die Frauen raus aus dem Spiel, die braucht man zwar noch, um den Samen einzupflanzen und das Kind auszutragen, aber eigentlich ist der Mann seitdem die zeugende Kraft. Mit dieser Erfindung des Vaters, des Vatergottes wurde auch so etwas wie eine Rationalität oder Vernunft erfunden. Unsere Sexualität wurde plötzlich zu einer Funktion von Fortpflanzung. Wehe, man hatte Sex ohne zu zeugen – dann drohte das große göttliche Strafgericht.
Das Gespräch führte Nicolas Tribes in WDR 3 Kultur am Mittag. Hier gibt es das komplette Interview zum Nachhören.