Ein Leben ohne Smartphone können sich Kinder und Jugendliche nicht mehr vorstellen. Die virtuelle Welt hat das Kinderzimmer erobert, mit ganz realen Folgen: Wer Industrie 4.0 fordert, wird Youtube-Stars bekommen.
Früher war alles besser und überhaupt. Der Sommer, das Bier, der Stau auf der Autobahn. Jeder hatte seinen Platz in der Gesellschaft – und das Handwerk noch goldenen Boden. Dieser Boden scheint inzwischen aber nicht nur seinen Goldstatus eingebüßt zu haben, sondern einfach komplett wegzubröseln. Was der amerikanische Soziologe Richard Sennett vor zehn Jahren angesichts zunehmender Digitalisierung der Arbeitswelt noch eher als einen Phantomschmerz des intellektuellen Bürgertums beschrieb, ist inzwischen in der Wirklichkeit angekommen: 40.000 Ausbildungsplätze bleiben hierzulande unbesetzt, wie Forscher der Uni Göttingen zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung herausgefunden haben.
Ausbildung muss attraktiver werden
Der Grund für die Handwerksflucht ist schnell ausgemacht: Die zunehmende Studierneigung der jungen Leute. Sowas aber auch! Da sorgt man erst dafür, dass inzwischen die Hälfte eines Jahrgangs die Hochschul- oder Fachhochschulreife erlangt und wundert sich dann, dass die Leute tatsächlich auch studieren wollen. Die Autoren der Göttinger Studie fordern daher, die Ausbildungsberufe müssten deutlich attraktiver werden. Schon klar: In deutschen Akademiker-Haushalten wird es künftig heißen: Ach, Anna-Lena, das mit dem Abitur, das überleg dir doch noch mal, bei Meister Piepenbrink könntest du doch so schön auf Stukkateurin lernen. Wer’s glaubt.
Die Klage über den Verlust der deutschen Handwerkstradition und den Niedergang der dualen Ausbildung, einst Stütze unseres Wirtschaftswunders, ist scheinheilig. Sie folgt einem Muster, das ich das Marie-Antoinette-Syndrom nenne: Die Mätresse Ludwigs XVI. ließ sich im Park von Versailles einen originalgetreuen Bauernhof nachbauen, um dort ihre Vorstellung vom Idyll zu spielen. Und dabei die Zeichen der Zeit zu übersehen. Wo die Reise hingeht, zeigen uns nämlich längst die Kids selbst: Die geben als Berufswunsch nicht mehr Lokführer oder Krankenschwester, Ärztin oder Anwalt an, sondern – kein Witz – Youtube-Star. In dem Videoportal des Google-Konzerns sehen sie nicht nur einen Großteil ihrer Lebens- sondern auch ihrer künftigen Arbeitswelt. Und Obacht, liebe Kulturpessimisten: Das sind keine grenzdebilen Opfer der Unterschichtmedien, sondern smarte Mädchen und Jungs, die genau wissen, dass der Erfolg nur mit Anstrengung und Professionalisierung zu haben ist. Und die sich deshalb an privaten Medienakademien oder auch in Volkshochschulkursen zu Youtubern ausbilden lassen – vorerst allerdings noch ohne IHK-Prüfung.
Fachausdruck: epic fail
Seit Jahren faseln Politiker und einschlägige Wirtschaftsvertreter davon, der verschnarchte deutsche Mittelstand, die Handwerks- und sonstigen Kleinbetriebe müssten sich endlich digitalisieren, um nicht den Anschluss an die Globalisierung zu verpassen. Die Bundesbildungsministerin gibt Milliarden aus, damit der Werkunterricht bald nur noch auf dem Tablet-Computer stattfindet. Was hat man sich da vorgestellt? Ein Idyll mit Touchscreen? Dass man bei Manufactum jetzt auch online einkaufen kann? Digitalisierung bedeutet den Sieg des Bildes über das Abgebildete. Das hat die Generation der Digital Natives begriffen. Und sie hat Recht: Die Herstellung von Handys ist inzwischen kaum schwieriger als Kartoffelanbau und Autos werden von irgendeinem kalifornischen Sunnyboy besser produziert als von allen deutschen Ingenieuren zusammen. Wer Industrie 4.0 fordert, wird also Youtube-Stars bekommen. Und falls es den Kids selbst an Telegenität mangelt, filmen sie eben Papa, wie er anhand eines Youtube-Videos versucht, das Badezimmer neu zu fliesen. Die Branche hat für diese Komik des Scheiterns einen Fachausdruck: epic fail.