Wo das Primat der Arbeit von dem der Pflege und Sorge abgelöst wurde, die Arbeit von Maschinen besorgt wird, haben sich die alten Verteilungskämpfe erledigt. In der Gartenrepublik spielen Steuer- und Finanzpolitik ebenso wenig eine Rolle wie Sozialpolitik.
Es ist jetzt wieder so viel Grün, man kann fast gar nicht hinschauen. Überall sprießt es und blüht es und der Rasen wird gemäht und die Hecke geschnitten und wer keinen eigenen Garten hat, hält sich wenigstens ein Gartenmagazin.
War da mal was? Grau in grau und Düsternis, trockene Heizungsluft und Feinstaubalarm? Vergessen und verdrängt. Ähnlich vergessen und verdrängt, dass Deutschland einmal eine Industrienation war mit Hochöfen und Stahlwerken und vergifteten Flüssen und einer zig Millionen zählenden Arbeiterschaft.
Die Republik, zum Garten gewandelt
Das Ruhrgebiet wandelte sich vom Industrierevier zum Landschaftspark, und längst legendär sind die blühenden Landschaften im Osten, wo einstmals Chemie und Kohle das Leben verkürzten. Wenn demnächst noch Fahrverbote für Diesel durchgesetzt werden, dürfte es auch dem Letzten dämmern: Die Republik hat sich zum Garten gewandelt.
Auch im metaphorischen Sinne: Nie gab es so viele Kindergärten, Altenpflege, Maniküre und Friseure wie zur Zeit. Überall wird ge- und erzogen, gehegt und gepflegt, geschnippelt und gestutzt. Der alte Industriearbeiter steht daneben, zum drolligen Gartenzwerg erstarrt. Es wäre nun nachgerade naiv zu glauben, diese Wandlung vom Industriemoloch zum Gartenparadies bliebe ohne politische Folgen.
Pflege und Sorge statt dreckiger Arbeit
Haben Sie sich nicht auch gefragt, warum das Thema soziale Gerechtigkeit derzeit keine Rolle mehr spielt – aber auch gar keine? Man damit eher Wahlen verliert, obwohl die Reichen immer reicher werden, Bildung noch immer eine Frage der Herkunft ist und das Elend der Welt sowieso sich vor unserem Jägerzaun stapelt?
Internationale Solidarität? Fehlanzeige. Die Antwort liegt zwischen Blumenbeet und Komposthaufen. Seit Aristoteles bezeichneten wir den Menschen als „Zoon politikon“, als politisches Wesen, und sahen in der Herstellung von Gerechtigkeit die vordringlichste Aufgabe des Staates.
Noch Hanna Arendt sekundierte dem antiken Denker mit ihrem Aufruf zur vita activa: Der Mensch solle nicht bloß arbeiten und konsumieren, nicht bloß etwas herstellen, sondern sich aktiv und solidarisch in die Belange der Gesellschaft einbringen.
Die Gartenlogik lässt davon nun nichts mehr übrig. Wo das Primat der Arbeit von dem der Pflege und Sorge abgelöst wurde, das Herstellen von den Maschinen besorgt wird, haben sich die alten Verteilungskämpfe erledigt. Wir wollen es schön haben.
Wer Leitkultur sagt, meint Parkordnung
Wir haben es schön und wollen, dass das so bleibt. Wer Leitkultur sagt, meint Parkordnung. Die Grünen im Südwesten verdanken ihre Regierungsmacht dem Streit um ein Stück Stadtgarten.
Der Garten ist dabei seit jeher ein ambivalenter Ort: Zum einen lädt er ein, zum anderen grenzt er aus. Auf jeden Fall ist der Hortus aber kein Hort des Politischen. Eher der Sehnsucht; ein Zufluchtsort vor den Zumutungen von Großkapital und Globalisierung.
Wer mit den Kategorien des Politischen an die Phänomene des Rechtspopulismus herangeht, wird nur auf Widersprüche stoßen. Wer sie indes unter dem Blickwinkel der Gartenmetaphorik betrachtet, versteht sie sofort. Steuer- und Finanzpolitik spielen im Garten ebensowenig eine Rolle wie Sozialpolitik. Was zählt ist, dass niemand über Gebühr Lärm macht und alle ihren Müll wegräumen.
Für Bierflaschenliegenlasser gibt es die FDP
Die nächsten Wahlen wird derjenige gewinnen, der sich am überzeugendsten für die Gartenrepublik Deutschland einsetzt. Die Industrieromantik wird dann von ein paar Zwergen mit roten Mützen verkörpert. Und für diejenigen, denen das zu viel Idylle ist, die gerne mal eine laute Party feiern und die leeren Bierflaschen anschließend liegen lassen, gibt es ja immer noch die FDP.