Plädoyer für einen radikalen Skeptizismus
Die totale Überwachung macht die ganze Welt zum Lager. So wird Flucht zur paradigmatischen Form des Seins. Ihr Symbol ist das Boot – als letztem universellen Begriff.
In meinem Text zeichne ich den Weg nach von den ersten Ablösungen der Begriffe vom menschlichen Körper bis zur Machtübernahme der Zeichen über ebendiesen Körper. Von den ersten Simulationen der Welt in Pirschzeichen und Höhlenbild bis zur Welt als nur noch Simulation in den bildergenerierenden Algorithmen.
Verantwortung, das war einmal das Echo unserer in die Zukunft hineingerufenen Hoffnung. Wie aber kann ich noch leben, wenn alles vorausberechnet ist und es folglich nichts mehr zu hoffen gibt? Wie kann ich noch menschlich sein, wenn das totale Wissen mir jegliche Verantwortung nimmt? Wie kann ich sein, wenn mir Unsterblichkeit droht? – Hierauf versuche ich in meinem poetisch-philosophisch angelegten Versuch Antworten zu finden.
Ich finde sie vor allem in der ironischen Existenz, die der globalisierten und digitalisierten Welt ihr „Trotzdem!“ entgegenhält. „Trotzdem ich nichts weiß, rede ich mit!“ ist der auf Sokrates zurückgehende Schlachtruf der Ironiker, die am Nichtwissen nicht verzweifeln, sondern es zum grundlosen Grund ihrer Menschlichkeit machen.
Die ironische Existenz ermöglicht die Flucht aus einer Hypermoralität, die zunehmend an ihren inneren Widersprüchen erstarrt. Denn die Theorien der Wahrheit halten nicht mehr, weder Wahrheit als Korrespondenz einer Aussage und eines Sachverhalts, noch Wahrheit als in sich widerspruchsfreies System von Aussagen, noch Wahrheit als Entbergung des Verborgenen. Ich frage nicht: Wie kann ich ein guter Mensch sein? – sondern: Wie kann ich überhaupt noch ein Mensch sein?
Die Ironie unseres Schicksals liegt darin, dass nicht eine universelle Moral uns verbindet, sondern die nicht begründbare Behauptung einer individuellen Erfahrung. Wo uns die Ethik zu einem unmöglichen Urteil zwingt, erlaubt uns die Ästhetik das mögliche. Unter dem deterministischen Regime der Algorithmen wird die Kunst so zur großen Ermöglicherin.
Bleibt die Frage des Gelingens der eigenen Flucht. Ich behandle sie mithilfe Arno Schmidts, Giwi Margwelaschwilis und eines kuriosen Fundstückes. Jede Erzählung, so der Befund, handelt von einer Flucht. Literatur ist Flucht und lebt von Flucht. Wir brauchen Bücher wie Boote.