Warum Massenkonsum urchristlich ist. Mein Politisches Feuilleton im Deutschlandfunk Kultur vom 15.12.2017.
Alle Jahre wieder: Das ist das Lied, das sie jetzt wieder singen. Alle Jahre wieder: Der Einzelhandel berichtet von steigenden Umsätzen im Weihnachtsgeschäft und die Leute kaufen wie blöde und stöhnen zugleich, dass das alles zuviel sei, und sagen alle Jahre wieder: Dieses Jahr schenken wir uns nichts. Und tun’s natürlich doch. Und im anschwellenden Kaufrauschen vernimmt man alle Jahre wieder die zarte Stimme der Kirchen, die zu Bescheidenheit und Besinnung mahnen; Maria und Josef seien schließlich arme Leute gewesen und das Jesuskind in einem Stall geboren und die armen Flüchtlinge sowieso, gerade jetzt im Winter, und das klingt dann, alle Jahre wieder, wie die Klage eines Kindes, dem man gerade das Lieblingsspielzeug weggenommen hat. Und dann lesen wir uns Charles Dickens vor, vom Geist der vergangenen Weihnacht, als sich die Kinder angeblich noch über ein paar Mandeln und Mandarinen freuten. Und konsumieren dabei unseren Konsumverzicht. Ich kann es nicht mehr hören.
Die Klage über den Konsum, über das Zuviel scheint so alt wie das Weihnachtsfest selbst. Und bei der Regelmäßigkeit, mit der diese Klage geführt wird, drängt sich der Verdacht auf, dass es hier eine Verbindung gibt. Dass Religion und Massenkonsum irgendwie kausal zusammengehören. Und eben kein Antagonismus sind.
Den Zusammenhang von christlichem Glauben und Kapitalismus hatte als erster der Soziologe Max Weber vermutet, ihn aber fälschlicherweise in der innerweltlichen Askese des Protestantismus verortet: Gerade weil sich der Protestant jeglichen Genuss verbiete, so Webers These, akkumuliere er Kapital. Ein Blick auf die verarmten katholischen Gegenden im 19. Jahrhundert schien ihm Recht zu geben. Umgekehrt wird aber erst ein Schuh daraus.
Wenn man sich fragt, warum Massenkonsum und Massenproduktion gerade in christlichen Ländern erfunden wurden, dann deshalb, weil sie schon im urchristlichen Denken und Handeln angelegt sind: Jesus von Nazareth war und ist ein konsumierbarer Gott. Zu Lebzeiten, von seinen Anhängern umlagert, spendete er Unmengen an Brot, Wein und Heilung. Seine berühmten Worte beim letzten Abendmahl, dass eben jenes Brot sein Leib und jener Wein sein Blut seien, machten ihn dann über seinen Tod hinaus auf ewig und grenzenlos konsumierbar. Danach hat man sich zwar viele Jahrhunderte erst einmal mit dürren Oblaten und wässrigen Schlucken, mit dem symbolischen Konsum der Eucharistiefeier begnügen müssen. Mit dem Aufkommen der industriellen Massenproduktion fand dann aber, so muss man es sagen, das Christentum wieder richtig zu sich selbst. Was vordem allein der Meister mit seinen Wunderkräften vollbrachte, das schafften nun Maschinen und Arbeitsteilung. Die Warenhäuser sind in diesem Sinne die wahren Kirchen des Volkes, die institutionalisierte Speisung der Fünftausend und der Hochzeit von Kana.
Gemäß der alten Weisheit, dass die Apostel stets engstirniger sind als die Propheten, und die Priester stets noch engstirniger als die Apostel, ist der Appell zum Konsumverzicht nichts anderes als der Geiz einer Priesterkaste, die eifersüchtig die Deutungshoheit über den Glauben bewacht. Was ihm die Pfaffen verwehren, nämlich den eigenen Gott mit Freuden zu konsumieren, das holt sich das Volk regelmäßig zur Weihnachtszeit mit überbordender Völlerei und Verschwendung zurück.
„Kauf dich glücklich“ – der Slogan ist also ganz im Sinne der urchristlichen Lehre.